Regina Hallmann: „Jugendliche dürfen nicht an zweiter Stelle stehen!“

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, hat einen Gesetzesentwurf durch das Bundeskabinett gebracht, der vorsieht, Unter-25-Jährige ab 2025 statt wie bisher vom JobCenter zukünftig von der Agentur für Arbeit betreuen zu lassen. Auf diese Weise soll der Bundeshaushalt um circa 900 Millionen Euro entlastet werden. Der vorgeschlagene Rechtskreiswechsel könnte aber gerade benachteiligte junge Menschen treffen, die auf Hilfen und Angebote angewiesen sind, die über reine Arbeitsvermittlung hinausgehen. Der Bundestag soll in der Woche vom 4. bis zum 9. September über den Entwurf entscheiden. Um für das Thema zu sensibilisieren und Aufmerksamkeit zu schaffen, organisiert die Jugendberufshilfe Essen (JBH) am Mittwoch, 30. August, um 13 Uhr einen Aktionstag vor dem Rathaus Essen.

Regina Hallmann, Aufsichtsratsvorsitzende von Jugendhilfe und Jugendberufshilfe Essen, spricht sich gegen die Sparmaßnahmen des Haushaltsentwurfs aus. Foto: Hallmann

Regina Hallmann, Aufsichtsratsvorsitzende von Jugendhilfe und Jugendberufshilfe Essen, bezieht klar Position gegen den Gesetzesentwurf:

„Der Entwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sieht einen Rechtskreiswechsel für die Betreuung der Unter-25-Jährigen von dem beim JobCenter verorteten Sozialgesetzbuch II (SGB II) in das von der Agentur für Arbeit verantwortete Sozialgesetzbuch III (SGB III) vor. Das könnte bedeuten, dass viele über Jahre erfolgreiche Maßnahmen entweder in 2025 von der Arbeitsagentur fortgeführt oder diese Verträge spätestens am 31. Dezember 2024 beendet würden.

Argumentiert wird im Gesetzesentwurf, dass die bisherige Doppelspurigkeit in Ausbildungs- und Arbeitsförderung für junge Menschen entfalle. Doch von ,Doppelspurigkeit‘ kann keine Rede sein: Im SGB III sind viele der Maßnahmen, die derzeit im Rahmen des SGB II von den JobCentern durchgeführt werden, überhaupt nicht vorgesehen. Verloren ginge der Gedanke einer ganzheitlichen Förderung junger Menschen. Denn viele Jugendliche müssen nicht nur in Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden. Sie haben psychische Erkrankungen, Suchtprobleme oder Schulden, die einer schnellen Vermittlung im Weg stehen. Die Zahl der jungen Menschen, die auf weitergehende Förderung angewiesen sind, steigt.
Eine Vielzahl wichtiger niedrigschwelliger Angebote realisiert die Jugendberufshilfe im Auftrag des JobCenter Essen: Im Projekt ,Individuelles Gesundheits- und Orientierungsangebot‘ (IndiGO) beispielsweise können sich junge Menschen in unterschiedlichen Werkbereichen selbst entdecken, beruflich orientieren und Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten gewinnen. Im Projekt ,EasiAp 3.0‘ werden die Jugendlichen teilweise vor Ort bei sich zu Hause aufgesucht, um sie überhaupt mit den Angeboten zu erreichen. Sie erhalten Hilfestellung bei der Suche nach einem sicheren Wohnsitz, bei der Finanzierung und Gestaltung ihres Lebens sowie einer Zukunftsplanung.

Gleichzeitig blicken rund 140 Mitarbeitende der Jugendberufshilfe Essen in eine ungewisse Zukunft. Diese Mitarbeitenden sind diejenigen, die morgens durchklingeln, damit Teilnehmende pünktlich ins Projekt kommen. Sie sind diejenigen, die auf kurzem Wege einen Kühlschrank oder einen Schlüsseldienst organisieren. Sie sind diejenigen, die den Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht nur Orientierung, Qualifikation und eine Ausbildung geben, sondern auch soziale Kompetenzen. Die sie aufbauen, wenn es nicht gut läuft. Die ihnen Selbstvertrauen geben. Die Jugendberufshilfe-Mitarbeitenden stärken diesen Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Rücken und geben ihnen eine Chance, in unserer Gesellschaft anzukommen.

Wenn es im Entwurf heißt, dass flankierende Regelungen in ein nachfolgendes Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden sollen, gibt es keinen Zweifel, wo die Prioritäten liegen: Nach Corona und Ukraine-Krieg muss im Bundeshaushalt gespart werden. Die Schicksale der jungen Menschen, die auf diese ganzheitlichen Maßnahmen angewiesen sind, stehen erst an zweiter Stelle.
Das können und möchten wir nicht akzeptieren. Mitglieder des Aufsichtsrats von Jugendhilfe und Jugendberufshilfe Essen stehen über Parteigrenzen hinaus hinter den Mitarbeitenden der Jugendberufshilfe sowie hinter den bundesweit über 700.000 benachteiligten jungen Menschen, die durch das System fallen könnten, wenn sie keine bedarfsgerechten Angebote erhalten. Viele Mitglieder des Bundestags werden nicht wissen, welche Konsequenzen die Verabschiedung dieses Haushaltsfinanzierungsgesetzes hätte. Hier wollen wir informieren und Aufmerksamkeit schaffen. Wir werden am Mittwoch um 13 Uhr vor dem Rathaus Essen Lärm machen, um diesen überhasteten Gesetzesentwurf noch zu verhindern: keine Kürzungen auf Kosten junger Menschen.“

Gemeinsamer Aktionstag „Keine Kürzungen auf Kosten junger Menschen“
Mittwoch, 30. August, 13 bis 14 Uhr
Rathaus Essen, Seite Ribbeck-/Klosterstraße, 45127 Essen

Regina Hallmann, Aufsichtsratsvorsitzende von Jugendhilfe und Jugendberufshilfe Essen, spricht sich gegen die Sparmaßnahmen des Haushaltsentwurfs aus. Foto: Hallmann

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